„Theater.Leben.Erinnerung“

„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt.“ (Roman Herzog, 1996)

Wir glauben, dass dies durch eine lebendige, performative Erinnerungskultur gelingen kann. Mit 10 Studentinnen des Fachgebiets Schauspiel der Alanus Hochschule Alfter möchten wir solch ein Stück Erinnerungskultur erschaffen. Dafür starten wir mit einer intensiven historischen Recherche und entwickeln aus dieser ein Theaterstück.

Künstlerinnen: Hannah Braun, Imke Daum, Tabea Eisch, Sofia Friedmann, Ella Janzen, Samira Kleiber, Sarah Laas, Julia Sophie Trine Rassmus, Luise Ulmer, Sabrina Wagner

Künstlerische Leitung: Antonia Schnauber

Assistenz / Öffentlichkeitsarbeit: Jens Ove Künstler

Produktionsförderer: Landeszentrale für politische Bildung

Eine Produktion der: Akademie für angewandte Schauspielkunst (ADAB) in Trägerschaft der AIB gGmbH

Kooperationspartner: Theatermuseum der Landeshaupt Düsseldorf / Alanus Hochschule Alfter: Fachgebiet Schauspiel

Premiere:

17.03.2023 (Theatermuseum Düsseldorf)

Spieltermine:

18.03.2023 & 19.03.2023 (Theatermuseum Düsseldorf)

21.04.2023 & 22.04.2023 (Alanus Hochschule Alfter)

5.7.2023 Waldorfschule Würzburg

25.1.2024 Friedrich-Ebert-Gymnasium Bonn

Wir.Leben.Ewig – Das Stück

Rezensionen:

Premiere im Theatermuseum Düsseldorf am 17.3.2023

Anhand von Originalzeugnissen aus Zeitdokumenten und Radiobeiträgen setzen sich acht Schauspielstudentinnen der Alanus-Hochschule Bonn unter der künstlerischen Leitung der Historikerin und Theaterpädagogin Antonia Schnauber mit jüdischen Schicksalen während der NS-Zeit auseinander und werden auf der Bühne zu Trägern der Erinnerungen. Deren Inhalte gehorchen keiner Chronologie. Die erzählten Geschichten vermeiden jedwede Rangfolge und setzen sich bewusst über die Einheit von Zeit, Ort und Handlung hinweg.

Durch den Verzicht auf lineare Zeitlichkeit, durch rasche Szenenwechsel und  reduzierte Kostümierung der zu Kunstfiguren stilisierten Körper wird erreicht, dass die Geschehnisse gleichsam schattenhaft aus dem Nichts erscheinen und wieder verschwinden. Der Zuschauer wird auf diese Weise in die Lage versetzt, nachzuempfinden, wie das grausame Schicksal über die (jüdischen) Mitbürger unvermittelt hereinbrach, sie zu Opfern einer Willkürherrschaft werden ließ, deren Ausmaße in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel ist.

Den Künstlerinnen geht es im Kern um die Erfahrbarkeit von Einzelschicksalen in den Wirren der NS-Zeit: Ausgrenzung und Enthumanisierung werden mit beklemmender Intensität dargestellt, wobei neben dem gesprochenen Wort auch Elemente des Bewegungstheaters in die Performance einfließen.

Eine zentrale Rolle spielen alte Koffer und Taschen aus jener Zeit. Sie werden zum Szenenwechsel auf die Bühne getragen und sind ein Symbol für Vertreibung, Flucht und Heimatlosigkeit. Aus ihnen heraus und um sie herum wird gelebt; sie sind ständige Begleiter, die sowohl die mitgeführten Habseligkeiten der Menschen als auch die Erinnerungen an eine bessere Zeit bewahren.

„Wir.Leben.Ewig“  ermöglicht es dem Zuschauer auf sehr eindringliche Weise, an den Erinnerungen aus der Opferperspektive teilzuhaben. Das Theaterstück leistet daher einen sehenswerten Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur.  

Rita Greger

Aufführung vom 18.3.2023 Theatermuseum Düsseldorf

Auf der Bühne des Theatermuseums Düsseldorf performten acht Schauspielstudentinnen der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Alfter am 18.03.2023 zum zweiten Mal im Rahmen des Projektes „Theater.Leben.Erinnerung“ ihr Stück „Wir.Leben.Ewig“.

Die Aufführung ist das Ergebnis einer gemeinsamen, intensiven Auseinandersetzung mit deutscher, mit jüdischer (Theater-) Geschichte unter künstlerischer Leitung der Historikerin und Theaterpädagogin Antonia Schnauber. […] Die Handlungen werden nachvollzogen, nachgefühlt und sind gleichzeitig Schatten dessen, was einst geschah. Nur, dass dieses „einst“ sich im gesprochenen Wort, in Originalzeugnissen aus Zeitdokumenten, aus Radiobeiträgen und auch ganz materiell in Teilen des Bühnenbildes und der Kostüme in die Gegenwart fortsetzt. Die Darstellerinnen streifen zur Verkörperung verschiedener Personen Kleidung von damals über, singen Lieder jener Zeit, tanzen Tango und Swing auf eine Art, die der damaligen kreativen Lebendigkeit Ausdruck verleiht. […]

Es erscheint nicht mehr wichtig, einen Ablauf der Geschehnisse zu definieren, wie es Historiker*innen versucht haben. Vielmehr geht es um die Gefühle hinter dem Erlebten.

Es geht zum Beispiel um die Ur-Großmutter einer der Darstellerinnen, deren Ur-Enkelin nun auf der Bühne steht und für einen Moment zu der Frau wird, die damals als Deutsche in Lettland nach Kriegsbeginn Ausgestoßene war. […] Es geht insbesondere auch um jüdisches Leben in Deutschland, die Enthumanisierung in unzähliger beklemmender Variation. Ohne Worte wird die immer bedrohlicher werdende Ausgrenzung dargestellt, durch Körper, die sich über die Bühne bewegen und plötzlich aus unersichtlichen Gründen einen aus ihrer Mitte absondern, ihn zu Boden stoßen und ihm nicht mehr aufhelfen.

In Worten und Musik erfährt man das Schicksal von Esther Bejarano, die nach Auschwitz deportiert wurde und sich rettete, indem sie im Mädchenorchester Akkordeon für ankommende Häftlinge spielte. Sie beobachtete das Leid ihrer Mitgefangenen und musste dennoch spielen, da sie ansonsten auch dem Tod geweiht gewesen wäre. Die Musik wird zur Befreiung und grausamen Pflicht gleichermaßen.

Ähnlich geschieht es in einem anderen Handlungsstrang. Die Erinnerung der Figur Emma Godoff, die auf dem Theatermacher Wolfgang Langhoff beruht, und im Konzentrationslager Börgermoor einen Zirkus ins Leben ruft, der im Stück nachgespielt wird. Dieser ruft zwangsläufig eigene Erinnerungen an Clowns und Jongleur*innen hervor – einige Menschen im Publikum beginnen, die Performance auf der Bühne im Takt der Musik zu beklatschen. Die Aufführung damals war ein Zeichen der Hoffnung und der Versuch, sich vor den Augen der Wärter*innen wieder menschlich zu zeigen, die Kunst als Selbstausdruck und letztes Mittel, seine Identität nicht zu verlieren. […]

Eine der Spuren, die verfolgt und immer wieder aufgegriffen wird, ist die des in Düsseldorf geborenen Schauspielers Gustaf Gründgens. Inspiriert durch seine Geschichte, die geprägt ist von Anpassung an ein immer kunstfeindlicher, immer weniger freiheitlich denkendes Regime, werden gerade die Anteile des Daseins als erfolgreicher deutscher Künstler der dreißiger und vierziger Jahre dargestellt – der Selbsthass, Selbstbetrug, die Rechtfertigungen und doch das Weitermachen, teils aus Ignoranz, teils aus einem Gefühl der Hilflosigkeit heraus. […] Aus dem Mund einer Studentin, die in der heutigen Zeit Schauspielerin ist, sind die Worte „Das Theater ist kein politischer Ort, also bin ich auch keine politische Figur“ doppelt schmerzhaft, weiß man doch als Zuschauer*in um die Gesichte des Landes, in dem sie gesprochen werden, weiß darum, wie verhängnisvoll die Selbstlüge einmal gewirkt hat.

In der Entlarvung der Figur Gustav Gründgens ergibt sich im Moment der Betrachtung für jemanden, der im Jahr 2023 in einem Theaterstück sitzt, in dem es doch um die Vergangenheit gehen soll, eine unbequeme und im Verlauf der Performance immer dringlicher werdende Frage. Nicht der vielleicht schon oft aufgeworfene und in den Jahren verschwundene Konflikt, wie man gehandelt hätte, sondern die ganz konkrete Verantwortung für das, was man im Heute geschehen lässt, bei was man nach wie vor zusieht. Zwangsläufig begegnet man seinem Spiegelbild, wenn man die gespielte Figur verurteilen möchte und sie gleichzeitig versteht. Im Kopf hallt gerade dann die in einer Szene junger Widerstandskämpfer*innen geäußerte Überlegung nach, was wohl die Menschen in der Zukunft über die jetzige Generation denken werden.

Passenderweise endet die Aufführung mit einer von allen Darstellerinnen gesungenen Version des Liedes „Mir lebn ejbig“, das 1943 von Lejb Rosenthal verfasst wurde. Der Text lässt sich einerseits als die Zeit überdauernder Erinnerung an das jüdische (und auch deutsche) Leben verstehen, das durch den Nationalsozialismus vernichtet wurde, wirkt andererseits gleichzeitig als Mahnung, derartiges nicht wieder geschehen zu lassen, die Augen nicht zu verschließen. Die gemütliche Ruhe der Kulturkonsument*innen könnte doch einmal verlassen werden und das wahrgenommen werden, was ist, auch und gerade in der durch die Kunst gespiegelten Wirklichkeit.  

Leonie Röder

Aufführung vom 21.4.2023 Hoftheater Alanus Hochschule Bonn

Das Spotlight fällt auf eine große, aufgeklappte Truhe. Die acht Schauspielerinnen legen darauf Teile ihres Kostüms ab: Hut, ein grob gestrickter Schal, Halstuch, Bluse, Krawatte, Lederhandschuhe, den Kopfschmuck einer Ballerina, ein Akkordeon. Dann gehen sie ab, verschwinden in der Dunkelheit. In den Ohren der Zuschauer:innen klingt Leyb Rozentals Lied noch nach: Mir lebn eybik – Wir leben ewig. Zuletzt erlöscht auch das Spotlight. Applaus.

Aus dem Projekt THEATER.LEBEN.ERINNERUNG alias „Jüdisches (Theater-)Leben in Deutschland- Wir brauchen Erinnerung (an) gestern wie heute“, einer Kooperation des Theatermuseums der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Alfter, gefördert durch die Landeszentrale für politische Bildung NRW, entstand das Theaterstück mit dem Titel WIR.LEBEN.EWIG. Projektträger war die Akademie für angewandte Schauspielkunst in Trägerschaft der Akademie für internationale Bildung. Die Premiere fand am 17.03.23 im Theatermuseum Düsseldorf, die Dernière am 22.04.23 im Hoftheater der Alanus Hochschule statt. Beide Säle füllt ein Publikum mit breitem Altersspektrum. 

Unter der Leitung von Antonia Schnauber, unterstützt durch Jens Ove Künstler, entwickelten die Schauspielerinnen gemeinsam das Stück. Innerhalb von drei Monaten entstand aus historischer Recherche ein dokumentarisches Theater in Form einer Szenencollage. Sowohl die Biografien von Theaterberühmtheiten und Widerstandskämpfer:innen als auch die der eigenen (Ur-) Großeltern inspirierten Figuren und Handlung.

Zu Beginn wird das Publikum mit Fragen überschüttet: Welche Rolle spielt die Kunst in der Zeit des Nationalsozialismus? Welche Macht hat eine Gemeinschaft? Was hätte ich getan? Die Darstellerinnen schreiten über die Bühne, alte Koffer auf dem Rücken, auf den Schultern, noch tragen sie das simple Kostüm (Sarah und Petra Laas) aus Anzughose, Oberteil in gedeckter Farbe und dazu passende Weste. Nur durch Bewegung zeigen sie die Auswirkungen des Naziregimes auf die Gesellschaft: Ausschluss, Verfolgung, Erniedrigung. Nach und nach werden die Figuren eingeführt und das Kostüm wird ergänzt durch Hut, Rock oder Jacke. Die charakteristischen Accessoires geben den Figuren einen hohen Erkennungswert und ermöglichen einen schnellen Rollenwechsel in Nebenfiguren oder die abstrakte Darstellung der Gesellschaft. Schlüsselszenen unterschiedlicher Biografien wechseln sich ab, erzählen von Flucht, Deportation und Leben im Konzentrationslager. Das Publikum verfolgt gebannt die Hochs und Tiefs.

Sie erleben Mascha Petrow (Ella Janzen), der es gelingt einen Mann der Gestapo auszutricksen, indem sie eine andere Identität annimmt und im nächsten Moment ängstlich auf dem Boden kauert, in der zitternden Hand eine zarte Spieluhr und nach ihrer Großmutter ruft, auf Russisch und Deutsch: „Du sollst leben, hast du gesagt!“ Sie überlebt. Doch in der nächsten Szene drückt sie einen Stempel auf die Akte von Emma Godoff: Deportationsbescheid, evakuiert, abgehakt.

Überleben oder die eigenen Ideale bewahren? Darum geht es auch in der Geschichte von Emma Godoff (Luise Ulmer), Tänzerin und Tanzlehrerin, deren Mann sie an die Gestapo verrät, weil sie gegenüber ihren Tanzschüler:innen Kritik am Regime äußert. Sie organisiert im KZ Börgermoor den Zirkus Konzentrazani. – Ein Moment des Widerstands, in dem sich die Insassen wieder als handlungsfähige Menschen erleben. Alle Schauspielerinnen sind Teil der Zirkusvorstellung und zeigen ihre Künste in der Akrobatik und Jonglage. Gemeinsam singen sie das „Moorsoldatenlied“ (Einmal werden froh wir sagen/Heimat du bist wieder mein!/Dann zieh’n die Moorsoldaten/Nicht mehr mit dem Spaten/Ins Moor). Doch dieses Lied und der Zirkus werden verboten und Emma Godoff wird zur Tanzlehrerin für die SS und drückt den Männern die Hand, die ihre Kameraden jeden Tag erniedrigen, um ihr eigenes Überleben zu sichern. „Ich möchte schreien“, sagt sie verzweifelt, mit tränenbelegter Stimme.

Rachel Kirschgartens (Sarah Laas) Eltern wurden deportiert, sie wird zu ihrer Wohnung geschickt, um ein paar Habseligkeiten mitzunehmen. Sie sitzt an einem Schreibtisch, als sie davon erzählt, wie die Männer der Gestapo ihr verbieten die Familienfotos von der Wand zu nehmen und einzupacken. Prompt treten diese auf, schlendern an ihr vorbei, räumen den Schreibtisch leer und nehmen schließlich auch Tisch und Stuhl mit, bis Rachel ganz allein auf der Bühne steht, jetzt hat sie nur noch sich. „Du wirst noch Schlimmeres erleben“, sagen sie ihr. Rachel kommt nach Auschwitz. Als dort nach einer Musikerin gefragt wird, meldet sie sich sofort. Sie kann Klavier spielen, doch das gibt es im Konzentrationslager nicht, also lügt sie und übt Akkordeon, um Teil des Mädchenorchesters von Auschwitz zu werden. Sie muss spielen, jeden Tag, für die Neuankömmlinge, die noch glauben sollen, dass da, wo Musik gespielt wird, kein schlechter Ort sein kann.

Karin (Trine Rassmus) lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Lettland, bis ihr Mann eingezogen wird und sie vor der Front weiter nach Polen und schließlich Deutschland fliehen müssen. Auf der Flucht wird eine Truhe, in die zwei schlafende Kinder passen, ihr neues Zuhause und sie bringt ihnen bei, dass man die Heimat im Herzen trägt. In ihren Monolog fließt ein Gedicht der Urgroßmutter der Schauspielerin ein.

Die Widerstandskämpferin Martha (Sofia Friedmann) tritt mit Humor und rhetorischer Gewandtheit in Clubs auf und kritisiert dort die Politik. Zusammen mit ihren Mitstreiter:innen hört sie heimlich eine BBC Radioansprache. Sie planen die darin enthaltenen Informationen per Flugblatt, verfasst von Pauline Krämer (Sabrina Wagner), zu verbreiten und die nationalsozialistische Propaganda zu zerschlagen. Ausgelassen und voller Tatendrang trinken und feiern sie, Friedmann spielt souverän das Saxophon. Plötzlich übertönen unheilvolle Marschschritte aus dem Off die Musik. Die Gruppe kauert sich zusammen, zitternd, mit angsterfüllten Augen. Martha wird festgenommen und immer wieder verhört. Ihre innere Freiheit lässt sie sich nicht nehmen, selbst wenn sie ihr die Luft zum Atmen verbieten, sie verrät niemanden.

Pauline Krämer (Sabrina Wagner) hat in ihrer Kindheit erlebt, dass ihr Vater verhaftet wurde, weil jemand behauptete, er sei Jude. Diese Nachricht überbringt ihr die gehässige Nachbarin, Pauline glaubt ihr kein Wort und läuft nach Hause. Die Mutter steht völlig neben sich und der kleine Bruder versteht überhaupt nicht, was vor sich geht und spielt fröhlich mit seinen Soldatenfigürchen.

Gerdi Gerdgens (Imke Daum) ist Schauspieler aus Leidenschaft, mit vollkommener Hingabe. Zu Anfang der Geschichte wird er auf der Bühne bejubelt. Daums Darstellung des Mephisto, mit weißer Maske und steilen Augenbrauen ist eine gelungene Hommage an Gustaf Gründgens. Später singt Gerdi „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“. Ihm geht es gut, er wird Intendant des Staatstheaters. Auch Frido (Samira Kleiber) ist beliebt bei den Nationalsozialisten. Beide können nicht ohne das Spielen, den Reiz, den Applaus. Für sie ist das wahre Leben auf der Bühne. Sie unterhalten sich darüber, dem Publikum den Rücken zuwendend, mit starren Masken auf dem Hinterkopf. Die Inszenierung hat etwas Unheimliches: leere Augen und doch ausschweifende Gesten, wie zwei Marionetten. Nachdem Frido die Rolle des „Jud-Süss“ annimmt, wird sie von ihrem Gewissen (verkörpert von drei Spielerinnen) überwältigt und zu Boden gedrückt. Als sie wieder aufsteht trägt sie die Maske des Teufels. Gerdi sieht sich nicht als politische Figur, das Theater ist für ihn kein politischer Ort. Doch im Sportpalast dem Totalen Krieg zuzujubeln ist ihm zuwider. Um deswegen nicht von den Nazis verfolgt zu werden, nimmt er seinen letzten Ausweg an die Front.

Das Bühnenbild ist minimalistisch – (Schrank-)Koffer, Theatersitze, Tisch und Stuhl – und stetig im Wandel, der Fokus liegt auf den Figuren, ihren Gefühlen und Entscheidungen. Die immer wiederkehrenden Koffer, Originalstücke aus den 30er und 40er Jahren, reichen aus, um das Publikum in diese Zeit zurückzuversetzen. Sie ziehen sich durch das Stück als Symbol für Heimat und Identität.

Moderne Bewegungssequenzen und bewegende Monologe werden ergänzt durch den bewussten Einsatz von Tanz, Gesang und Livemusik (Geige: Ulmer und Rassmus, Friedmann: Saxophon, Laas: Akkordeon). Die Schauspielerinnen halten die Aufmerksamkeit der Zuschauer:innen durch ihre Bühnenpräsenz, erzählen tragische Geschichten, mit aufrichtiger Ernsthaftigkeit, ohne melodramatisch zu werden. Eine abwechslungsreiche und atmosphärische Inszenierung, die das Publikum begeistert und berührt. […]

WIR.LEBEN.EWIG ist ein lebendiges Stück Erinnerungskultur, dass dazu anregt sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen und deutlich dazu appelliert, nicht zuzulassen, dass sie sich wiederholt.

Dora Stephan